Schulmuseum Lohr

Der Name Schulmuseum ist prägnant und griffig. Und unter Schule kann sich jeder etwas vorstellen. Allerdings geht das hier Gebotene weit über das hinaus, was sich ein Erstbesucher von einem Schulmuseum erwartet. Schule ist zwar der Mittel- und Ausgangspunkt. Viel mehr erfährt aber der Besucher über die Geschichte der letzten 200 Jahre bis 1989 (Zusammenbruch der DDR). Eigentlich sollte für jeden Geschichts- und Sozialkundekurs der umliegenden Gymnasien ein Besuch in diesem Museum Pflicht sein.

1989 wurde das Museum von dem damaligen Grundschullehrer Eduard Stenger eingerichtet und seitdem immer weiter ergänzt. Auch heute als über 80-jähriger sorgt er noch ehrenamtlich dafür, dass sein Baby von Mittwoch bis Sonntag von 14 Uhr bis 16 Uhr geöffnet ist.

Räumlichkeiten

Es gibt 2 große Klassenzimmer, eingerichtet einmal im Stil der Kaiserzeit und einmal im Stil des 3. Reiches. Andere Räume sind einem Thema gewidmet. Das 2. Bild unten zeigt den Raum, der sich besonders mit der Situation der Volksschullehrer um 1900 widmet. Das 3. Bild gibt einen Einblick den Raum, der den wechselnden Sonderausstellungen gewidmet ist.

Ca. 100 Sonderausstellungen gab es bisher.

Die Kaiserzeit (1871 – 1918)

Über dem Lehrerpult das Bild des Herrschers (Prinzregent Luitpold) und das Kreuz.

Die Rassenlehre

Volksschullehrer

Die Wertschätzung eines Volksschullehrers um 1900 war gering. Das zeigte sich in der Ausstattung der Lehrerwohnung, der Besoldung und der veröffentlichten Meinung.

Die Vorbereitung auf den künftigen Beruf

Welche Berufe ein Junge anstreben sollte, zeigen die Panoramen unten: Ingenieur, Geistlicher, Offizier. Und bei den Mädchen war auch alles klar: Sie spielten mit der Puppenküche und verinnerlichten u.a. den Grundsatz „Immer sauber und rein sollen die Töpfe sein“.

Schule und Kirche

Die Kirche spielte in der Kaiserzeit eine überragende Rolle in der Volksschule. Siehe dazu auch unten die Ausführungen zur Bekenntnisschule von Schulrat Hans Keitz.

Links ein mobiler Beichtstuhl, der zur Schulausstattung gehörte. Klassenweises Beichten war wohl üblich (und befriedigte auch die Neugier des Herrn Pfarrer).

Schulmuseum als Heimatmuseum

Göpfert-Laden in der Hauptstraße. Betrieben bis 1986. Nicht nur der Laden war altertümlich, auch das gesamte Haus war eigentlich ein Museum. Küche und Originalausstattung des Ladens sind im Spessartmuseum zu sehen. Das in 9-monatiger Arbeit von Gertrud Lohr erstellte Modell und viele Dokumente und Fotos befinden sich im Schulmuseum.

Das 3. Reich (1933 – 1945)

Die grundlegende Ausstattung eines Klassenzimmers hat sich im 3. Reich gegenüber der Kaiserzeit nicht wesentlich geändert. Nur über dem Pult hängt jetzt ein Bild des Führers Adolf Hitler. Das Kreuz ist verschwunden.

Und wer in der Schule nicht die Lernziele erreicht hat, der konnte das beim Reichsarbeitsdienst nachholen. Oben das Modell der Lagers Lohrer Straße (Nähe Bischborner Hof) von 1933, das ein Muster für alle weiteren Lager werden sollte.

Die drei Bilder unten sind etwas größer hinterlegt, so dass die Schrift jeweils gut lesbar ist.

Auch bei den Mädchen war klar, wohin die Reise gehen sollte. Nicht stahlharte Kämpfer, sondern produktive Mütter.

Neuanfang nach 1945

Zu Beginn des Schuljahres 1945/46 verschickte der damalige Lohrer Schulrat Hans Keitz ein Schreiben an alle Grundschulen in seinem Bezirk. Die Religion, die die Nationalsozialisten aus den Schulen verdrängt hatten, bekommt wieder einen überragenden Stellenwert. Gott sei Dank ist davon heute praktisch nichts mehr übrig geblieben.

Das Museum hat von Mittwoch bis Freitag und an allen gesetzlichen Feiertagen von 14 Uhr bis 16 Uhr geöffnet. Weitere Informationen gib es auf der Webseite des Schulmuseums.

Ausführliche Beschreibung von Bert Stenger

Bert Stenger ist der Sohn des Museumsgründers. Er kennt alle Details des Museums und hat eine außergewöhnlich gute Beschreibung des Museums erstellt:

Mehr als Katheder und Tintenfass

von Bert Stenger

Deutsche Geschichte im Lohrer Schulmuseum

„Es steht für mich außer Frage, dass das Schulmuseum Lohr national und international zu den attraktivsten Schulmuseen zählt“, so der Pädagogikprofessor Max Liedtke. Worauf gründet sich die Aussage dieses bekannten Museumsexperten?

Da sind auf der einen Seite die umfangreiche, über 3000 Exponate umfassende Sammlung sowie die zwei komplett eingerichteten Klassenzimmer zu nennen, anhand derer sich der Besucher des Schulmuseums einen fundierten Einblick in 200 Jahre Schul- und Erziehungsgeschichte verschaffen kann, auf Anfrage auch mit Führung inklusive einer Unterrichtsstunde im Stil der Kaiserzeit.

Doch nicht dieser volkskundliche Aspekt ist es, der das Lohrer Schulmuseum so besonders interessant macht und es vor anderen Museen seiner Art auszeichnet. Es ist vielmehr sein einmaliges historisch-politisches Konzept. Die Vermittlung volkskundlichen Wissens steht hier nicht im Vordergrund, das Lohrer Schulmuseum versteht sich in erster Linie als politisches Museum, in dem mit den Schwerpunkten „Kaiserzeit“ (1871-1918) und „Drittes Reich“ (1933-1945) dem Besucher klargemacht werden soll, dass Schule schon immer vom jeweils herrschenden Regime ge- und missbraucht wurde, um die Jugend in seinem Geiste heranzuziehen.

So dominierte in der Schule der Kaiserzeit der Untertanengeist: Gehorsam, Zucht, Ordnung, Disziplin waren Tugenden, die den Kindern schon von früh auf beigebracht und wenn nötig mit Gewalt eingeprügelt werden mussten. Hauptaufgabe zumindest der Volksschullehrer war daher nicht die Vermittlung von Bildung und Wissen, sondern das fast militärisch anmutende drillmäßige Einüben untertanenadäquater Verhaltensformen.

Über dem erhöhten Lehrerpult hingen das Bild des Landesfürsten, in Bayern um 1910 Prinzregent Luitpold, und auf gleicher Höhe das Kruzifix. Dies immer vor Augen sollten die Kinder von der ersten Klasse an lernen, wem sie Respekt und Gehorsam schuldig waren. Der Lehrer als Stellvertreter des Monarchen im Klassenzimmer war praktisch der unumschränkte Herr über die Schüler und konnte seine Autorität mit exekutiver Strafgewalt durchsetzen. So, wie die Schüler ihm gegenüber parieren mussten, so waren sie später als Erwachsene den königlichen Beamten und der Staatsgewalt ausgeliefert.

Diese strenge hierarchische Gesellschaftsform fand ihre Untermauerung in den Lehren der christlichen Kirchen, welche nicht müde wurden zu verkünden, dass die Monarchen von Gottes Gnaden eingesetzt worden seien, dass ohnehin alles nach Gottes Wille geschehe und jeder Mensch daher nach göttlichem Ratschluss an seinen Platz gestellt worden sei, um dort seine ihm zugedachte Aufgabe zu erfüllen. Ungehorsam wurde als Aufbegehren gegen diese göttliche Ordnung angesehen und dem Delinquenten mit der ewigen Verdammnis im Höllenfeuer gedroht. Mit diesem Bild des strafenden Polizeigottes konnte man das gläubige Volk hervorragend einschüchtern. Kein Wunder also, dass von staatlicher Seite den Kirchen weitreichende erzieherische Befugnisse zugestanden wurden und der Religionsunterricht täglich mit einer Stunde im Stundenplan festgelegt war.

Wie die Kindheit in der Kaiserzeit aussah, stellt das Museum aber nicht nur anhand des schulischen, sondern auch des familiären und religiösen Lebens dar und rundet damit das Gesamtbild ab.

Neben dieser generell vorherrschenden Tendenz der Untertanenerziehung wird dem Besucher auch eindringlich verdeutlicht, dass bereits der Zeitgeist um die Jahrhundertwende von rassistischen und antisemitischen Vorstellungen vergiftet war. Sei es, dass in einem Schulwandbild mit dem Titel „Germanisches Gehöft“ für den Geschichtsunterricht schon der arische Herrenmensch seine ersten Grundzüge erhält, sei es, dass im Biologieunterricht das hybride Selbstverständnis der weißen (europäischen) Rasse als „Träger der Zivilisation und der Weltgeschichte“ (Kommentar zu einem Schulwandbild) seine Bestätigung findet. Überall sind die Anzeichen für die geistigen Grundlagen des Nationalsozialismus zu erkennen, welche über Unterricht und Erziehung Eingang in die Köpfe der Schüler der Kaiserzeit fanden.

Logische Konsequenz ist es, dass sich das Museum ein Stockwerk höher mit dem Schulsystem und der Erziehung im Dritten Reich auseinander setzt. Nicht nur, dass der NS-Staat ideologisch auf Strömungen der Kaiserzeit aufbaute, seine Entstehung und schnelle Etablierung als totalitäres System wurde durch die in der Kaiserzeit antrainierte antidemokratische Obrigkeitshörigkeit der breiten Masse begünstigt.

Für das Museum bildet die Thematik der Erziehung im Dritten Reich zudem das Kernstück seines Konzepts. Kein anderes Regime vorher nutzte Schule, Medien und Jugendorganisationen so exzessiv zur Manipulation der Jugend. Jetzt stand nicht einfach nur – für sich gesehen wertneutraler – Gehorsam, sondern der linientreue arische Nationalsozialist im Mittelpunkt der ideologischen Ausrichtung .

Den gesamten Unterricht und alle Fächer instrumentalisierte man für die nationalsozialistische Sache. Im Fach Deutsch wurde das Lesen mit „Heil Hitler“ und ähnlichen Parolen beigebracht, Rechnen lernte man mit der Addition und Subtraktion von Soldaten und Panzern. Im Fach „Lebenskunde“ wurden Themen wie „Vernordung nichtnordischer Rassen“ oder „Die Erbkranken und die Kosten, welche sie verursachen“ behandelt, in entsprechenden Textaufgaben berechnete man dann, wie viel Einfamilienhäuser von diesen Geldern gebaut werden könnten. Der Geschichtsunterricht zeigte das scheinbare Missverhältnis von Weite und Größe des deutschen Kulturraums zur Beengtheit der deutschen Grenzen. 

Wie bei der Kaiserzeit bleibt das Museum nicht bei der schulischen Erziehung stehen, sondern liefert auch hier ein Gesamtbild der Kindheit im Dritten Reich, zu dem auch die Erziehung im Elternhaus und die Indoktrination in den Jugendorganisationen der NSDAP gehören.

Um es dem Besucher zu erleichtern, Ähnlichkeiten, Veränderungen und Unterschiede im Dritten Reich gegenüber der Kaiserzeit zu entdecken, sind die beiden Stockwerke thematisch deckungsgleich zueinander aufgebaut. Dort, wo in der Kaiserzeit das Kruzifx prangt, hängt nun die Wochenparole, ein wöchentlich wechselnder Spruch nationalsozialistischen Inhalts. Das feldgraue Kriegsspielzeug im Kinderzimmer des Dritten Reichs hat „die schimmernde Wehr“ der Kaiserzeit verdrängt.  Wo sich im Stockwerk „Kaiserzeit“ das Religionszimmer befindet, ist nun das HJ-Zimmer, wodurch verdeutlicht wird, dass die Ideologie  die Rolle der Religion übernehmen wollte und die Religion als feindliche Gegenideologie aus dem öffentlichen Leben verdrängt werden sollte. Aus dem Ministranten von einst sollte der Hitlerjunge werden.

Eine „herrische, grausame Jugend“ war Hauptziel dieser Erziehung, zu deren Weltbild Attribute wie Toleranz, Gleichheit aller Menschen und Nächstenliebe nicht mehr passten. Religion hatte ausgespielt und verschwand fast vollständig aus dem Lehrplan. Sport nahm nun den obersten Platz der Fächer ein.

Eingerahmt sind diese geschichtlichen Schwerpunkte auf der einen Seite von der Aufklärung, dem Beginn der Schulpflicht und der Entwicklung der Schule im 19. Jahrhundert und auf der anderen Seite von einem Ausblick auf die Schule und Erziehung in der ehemaligen DDR sowie der Bundesrepublik.

Neben dem stets vorhandenen volkskundlichen Gesichtspunkt ist die Aufklärung geschichtlich logisch der Anfang des vom Schulmuseum dokumentierten Zeitraums, denn mit der Aufklärung begann ein Prozess, der nicht Gott, sondern den Menschen ins Zentrum der Welt stellt. Diese Entwicklung führte letztendlich in intellektuellen Kreisen zur Abkehr von den herkömmlichen Religionen und, da der Mensch an etwas glauben muss, zur Begründung weltlicher bzw. politischer Religionen und umgekehrt zu einer Sakralisierung der Politik, an deren Ende die heilsverkündenden totalitären Ideologien des Nationalsozialismus und Kommunismus standen. Die – wenn auch falsch verstandene – Aufklärung stellt daher die Wurzel des Nationalsozialismus dar.

Mit dem Ausblick auf die ehemalige DDR beleuchtet das Museum das Schul- und Erziehungssystem des zweiten Ablegers der Aufklärung, des Kommunismus, und dokumentiert die erschreckenden Parallelen zwischen den Methoden der Kommunisten und denen der Nationalsozialisten. Nach der HJ (Hitlerjugend) des NS-Staates bestimmte nun die FDJ in der DDR das Leben der jungen Generation. Satzungsgemäßer „Haß gegen den Imperialismus und seine reaktionäre Politik“ (aus: Statut der Freien Deutschen Jugend FDJ) und eine umfangreiche vormilitärische Ausbildung gehörten dazu.

Ein weiterer bemerkenswerter Punkt des Konzepts des Lohrer Schulmuseums ist, dass all die eben genannten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen dem Besucher nicht belehrend aufgedrängt werden. So ist das Maß an Kommentierungen auf ein notwendiges Minimum reduziert, die Dokumentation erfolgt hauptsächlich durch Originaltexte, anhand derer sich der Besucher ein eigenes, von Seiten des Museums möglichst unbeeinflusstes Bild machen kann, denn ein Museum darf kein Ort geschichtlicher oder politischer Gängelung sein.

Dieses in Deutschland bisher einmalige Schulmuseumskonzept ist es, das Professor Max Liedtke würdigt, wenn er sagt: „Das Lohrer Schulmuseum ist eines der attraktivsten seiner Art“.

(Text: Bert Stenger)